Fred Herzog: "Modern Color"

Ich malte mir aus, wie ich vielleicht fünfzig oder hundert Jahre später den Menschen zeigen müsste, wie die Stadt einmal ausgesehen hat.
— Fred Herzog

Über Jahrzehnte spazierte Fred Herzog durch die Straßen seiner Wahlheimat Vancouver. Mit feinem Blick für das Außergewöhnliche im Alltäglichen gelang ihm nicht nur ein facettenreiches Porträt der kanadischen Metropole, sondern er schuf auch eines der schönsten Werke zeitgenössischer Street Photography. Der Band „Modern Color“* ist eine Hommage an diesen außergewöhnlichen Pionier der Farbfotografie.

Farbfotografie war bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts verpönt. Ohnehin hatte es die Fotografie lange schwer, als Kunstform akzeptiert zu werden. Viele sahen darin nur einen mechanischen Akt, der das abbildete, was vor der Kamera stattfand. Und wenn, dann galt nur die Abstraktion in Form von Schwarz-Weiß-Darstellungen als künstlerisch relevant. Sowohl in Museen als auch in den Medien.

In den 1960er Jahren begannen immer mehr Fotografen, diese Denkweise herauszufordern. Allen voran William Eggleston und Saul Leiter. Aber auch Fred Herzog gehörte zu den Pionieren der Farbfotografie. Allerdings erhielt Letzterer erst sehr spät die Beachtung und Wertschätzung, die sein wunderbares Werk verdient.

Leidenschaftlicher Flaneur mit der Kamera

Herzog wurde 1930 in Stuttgart geboren. Nach dem Tod seiner Eltern, wanderte er 1952 nach Kanada aus. Zunächst lebte er kurze Zeit in Toronto und Montreal, ehe er sich schließlich in Vancouver niederließ, wo er bis heute lebt.

Die Leidenschaft für die Fotografie war bei ihm früh geweckt worden. Sie prägte sowohl sein Berufs- als auch Privatleben. An der University of British Columbia war er im Bereich der medizinischen Technik als Fotograf tätig. In seiner Freizeit lebte er seine künstlerische Seite mit der Kamera aus.

Herzog: „I took all these picture when I had a job. I went out late in the afternoon or on weekends.“

Er liebte es, die Straßen Vancouvers entlangzulaufen und dabei den Zauber des Alltags festzuhalten. Der Band „Modern Color“* (Hatje Cantz Verlag) führt in mehr als 230 Aufnahmen durch das fotografische Leben des Wahlkanadiers und erzählt die Geschichte der Straße von 1950 bis in die späten 1980er-Jahre. Wer sich die Bilder heute anschaut, wird von einem Flair von Nostalgie erfasst. Doch damals wird beispielsweise ein heute als Oldtimer bewunderter Wagen ebenso wenig spektakulär gewirkt haben, wie die Autos, die wir täglich auf den Straßen sehen. Erst der Abstand von vielen Jahren macht die Unterschiede deutlich.

Einblicke in eine vergangene Epoche

Gerade darin besteht einer der großen Verdienste von Street Photography, wie sie Fred Herzog praktizierte. Seine Bilder gewähren einen Blick in eine vergangene Epoche. Es sind Dokumente der Zeitgeschichte. Vielleicht wurden Herzog und andere Streetfotografen deswegen erst später berühmt, weil der Abstand zu den Motiven erst entstehen musste. Damals sind vielen Menschen die Motive wahrscheinlich eher banal erschienen. Bei der Bewertung von Kunst und dem Empfinden von Nostalgie spielt Zeit eine große Rolle von Zeit.

Herzog: „Ich malte mir aus, wie ich vielleicht fünfzig oder hundert Jahre später den Menschen zeigen müsste, wie die Stadt einmal ausgesehen hat.“

Der Stil von Herzog erinnert an die Maler seiner Epoche. Allen voran Norman Rockwell und Edward Hopper. Beide stellten in ihren Werken häufig innere und äußere Welten gegenüber. So zum Beispiel in Hoppers berühmten Gemälde „Nighthawk“.

Vom Gehweg aus führt der Blick in eine hellbeleuchtete Bar, in der außer dem Barkeeper nur drei Gäste am Tresen sitzen. Nach dem gleichen „Innen-Außen“-Prinzip hat Herzog aus einem Friseurladen hinaus durch das Fenster auf die Straße fotografiert. An der Wand des Geschäfts hängen Bilder von den damals angesagten Haarschnitten, draußen geht ein älterer Herr vorbei.

Ein anderes Bild zeigt eine Frau, die an einer Kreuzung über die Straße geht. Ihr langer Schatten fällt in einem Korridor des warmen Abendlichts auf den Asphalt.

Poesie des Alltäglichen

Herzog vereint ein feines Gespür für Szenen und Licht.

Oft sind schräge Typen die Protagonisten seiner Kompositionen. Ein Mann steht im Unterhemd an einer Bushaltestelle. In der bandagierten Hand hält er eine Zigarette, sein Kinn ziert ein Pflaster. Im Hintergrund steht eine feine Dame und mustert das Raubein.

Herzog stellt nicht bloß oder macht sich lustig. Er wertet nicht, sondern blickt sanft mit viel Empathie durch den Sucher seiner Kamera. Es sind ordinäre Plätze, die Herzog als Bühnen dienen. Gehsteige, Einkaufsstraßen, Hinterhöfe oder Geschäfte.

Wo andere Menschen hastig ihres Weges gehen, entdeckt Herzog die Poesie des Alltäglichen. Es sind Motive, die es nie in eine Zeitung schaffen – die zugleich aber hohen dokumentarischen Wert besitzen. Wenn man so will, hat Herzog Zeit seines Lebens an einem fotojournalistischem Projekt gearbeitet, mit dem ihn nie jemand beauftragt hatte.

Herausgekommen ist das außergewöhnliche Porträt einer Stadt, Vancouver. Eine solche Tiefe erreicht nur derjenige, der sich, wie Herzog, über einen so langen Zeitraum einem Thema verschreibt.

Später Ruhm für ein beeindruckendes Werk

Herzog hat bewusst Farbe als Stilmittel benutzt.

Das Kodachrome-Diafilme eher als amateurhaft galten, mit denen Hobbyfotografen Stoff für Familienalben produzierten, störte ihn nicht. Den Einsatz von Farbe sah er als Mittel dafür, die Straße und die Menschen möglichst wirklichkeitsnah abzubilden. Herzog wollte mit seiner Fotografie nicht ins Abstrakte driften. Deshalb kamen Schwarz-Weiß–Aufnahmen für ihn nicht in Frage. Die Form – nämlich Farbe – sollte dem Inhalt und der Botschaft seiner Bilder entsprechen.

Herzog: „My pictures are not made to look pretty. The pictures should historically of interest – to catch people how they really look.“ Sein Stil war der eines unaufdringlichen Beobachters.

Herzog liebte es, weitgehend unentdeckt zu bleiben: „Non of my photographs are pre-planned. I go on a walk and when I see something that’s of interest, then I take a picture. Many of my best pictures have to do with body language. I try to take pictures of people without them noticing that I’m aiming my camera at their face. I quite often shoot from the hip.“

Das Buch „Modern Colour“ ist eine visuelle Reise in eine vergangene Epoche, voller Geschichten und kauziger Darsteller. Es ist die verdiente Hommage an einen ebenso herausragenden wie bescheidenen Fotografen. Herzog suchte nie Ruhm und Rampenlicht.

Die Fotografie war für ihn immer eine Leidenschaft – egal, ob jemand seine Bilder anschließend sah oder nicht.

Dass er im hohen Alter doch noch die verdiente Wertschätzung für sein Werk erhält, kommentierte Herzog 2012 in einem Interview am Rande einer Ausstellung augenzwinkernd: „I’m getting kind of used to getting attention. My life has been fairly dry. In the past I have not been very well known. Suddenly being well-known, I don’t know if that’s what I really need the most.“

Über Fred Herzog

Das Buch „Modern Color“* von Fred Herzog ist im Hatje Cantz Verlag erschienen. „Als Fotograf ein Profi, als Künstler ein Amateur“, so bezeichnete Claudius Seidl, Feuilletonchef der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, den Pionier der Farbfotografie.

Erst Ende der 1960er-Jahre wurden erste Medien auf Herzog aufmerksam. Heute gilt er mit seinem über 100.000 Farbaufnahmen umfassenden Werk als Impulsgeber der „New-Color-Fotografie“.

„Modern Color“ ist die bisher umfassendste Monografie des Wahlkanadiers. Sie vereint mehr als 230 der wichtigsten Aufnahmen, von denen ein Gros nie zuvor reproduziert wurde. Autorenbeiträge von David Campany, Hans-Michael Koetzle und Jeff Wall setzen die Bilder in einen kunsthistorischen Zusammenhang.

“I took all these picture when I had a job. I went out late in the afternoon or on weekends.” Fred Herzog

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